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Schluss mit dem Heiligen Stuhl, aber wie? Deutsches Historisches Museum zeigt den Luthereffekt im Martin-Gropius-Bau

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Reformationen – Luther – Welt

 

Schluss mit dem Heiligen Stuhl, aber wie? 

Deutsches Historisches Museum zeigt den Luthereffekt im Martin-Gropius-Bau 

 

Was ist nun eigentlich genau Der Luthereffekt? – Verwirrend vielfältig splittert die Reformation von 1517 anlässlich des 500jährigen Jubiläums auf in eine Vielzahl von Reformationen. Im Martin-Gropius-Bau geht es weniger biographisch um den Augustinermönch, Übersetzer, Autor und Aktivisten Martin Luther als vielmehr um eine Vielzahl von Reformationen inner- und außerhalb der Römisch-Katholischen Kirche. Wie genau und ob überhaupt der Hammerschlag als Anschlag der 95 Thesen zur Kritik des Ablasshandels an der Schlosskirche zu Wittenberg stattgefunden hat, ist in der Kirchenforschung umstritten. Vielmehr wurden die sogenannten 95 Thesen am 31. Oktober 1517 einem Brief an den Erzbischof von Mainz und Magdeburg, Albrecht von Brandenburg, beigefügt.    

  

Im Lichthof des Martin-Gropius-Baus hat Hans Peter Kuhn die Raum- und Klanginstallation Transformation und Schisma, Wanldung und Spaltung, eingerichtet. Die Ausstellung Der Luthereffekt – 500 Jahre Protestantismus in der Welt beginnt gerade nicht mit dem Singular einer Reformation, sondern einer Mehrzahl von Reformationen, mit denen sich seit einem halben Jahrtausend Reformen der Kirche gegen das Papsttum in Rom ausbreiten. Der eine und einzige Papst als Vertreter Gottes und Mittler zwischen den Menschen auf Erden und Gott, sein Alleinvertretungsanspruch auf dem Heiligen Stuhl in Rom wird von unterschiedlichen Reformen seit 1517 in Frage gestellt. Statt einen Umweg zu Gott zu akzeptieren, der sich geschäftstüchtig im Ablasshandel formierte, stritten und streiten die unterschiedlichen Protestanten seit 500 Jahren um den Direktzugang, um den Open Access zu Gott.     


Lutherisches Bekenntnisgemälde, Öl auf Holz mit auf Papierstreifen gedrucktem Text, Evangelisch-lutherische Pfarrkirche St. Petri, Kulmbach, 1607 (Ausschnitt mit Spiegelung) 
 

Die Ausstellung zur 500 Jahrfeier des Protestantismus kommt 12 Jahre zu früh. Das Datum ist falsch. Martin Luther protestiert noch gar nicht gegen die Katholische Kirche bzw. den Papst in Rom. Der Begriff des Protestantismus geht vielmehr zurück auf Johann den Standhaften bzw. den Beständigen, Kurfürst von Sachsen, der 1527 als Freund und Landesherr Martin Luthers die Evangelisch-Lutherische Landeskirche gründete. Doch auch 1527 fiel noch nicht der Begriff des Protests. Vielmehr wird dieser zuerst am 19. April 1529 auf dem Reichstag zu Speyer gebraucht, als Johann, Kurfürst von Sachsen, Georg, Markgraf von Brandenburg, Ernst, Herzog von Braunschweig-Lüneburg, Philipp, Landgraf von Hessen, und Wolfgang, Fürst von Anhalt-Köthen die Protestation gegen die Ächtung der Schriften Martin Luthers und ihrer Landeskirchen einreichten. (Ausfertigung vom 20. April 1529)

 

Das Jubiläum und die nachträgliche Datierung einer „Geburtsstunde“ versuchen, einen breiten und vielfältigen Prozess einzufangen. Die „Geburtsstunde des Protestantismus“, wie es Alexander Lang formuliert hat[1], mit weitreichenden Folgen für die Herausbildung protestantischer Kirchen und Glaubensgemeinschaften sowie schon 1527 die Verwandlung des katholischen Walfahrtortes Marburg in eine frühmoderne Universitätsstadt durch Philipp den Großmütigen lässt sich insofern als Effekt der Schriften und Übersetzungen Martin Luthers mit einer gewissen Verzögerung auf den 19. April 1529 bestimmen. Jubiläen wie das Lutherjahr 2017 dienen denn auch eher einer nach den wissenschaftlichen Diskursen ihrer Zeit neuen Formulierung des historischen Ereignisses.

  

Die an der University of Cambridge lehrende Historikerin Ulinka Rublack eröffnet ihren Artikel Reformationen in Europa für die Ausstellung im Katalog mit Fragen an den Protestantismus. Dass sie dafür den „Kulthumanisten Erasmus“ voranstellend zitiert[2], ist vielleicht nicht die glücklichste Wendung. Doch aus der Kritik Erasmus von Rotterdams an der katholischen Kirche in der 1509 verfassten und seit 1511 in zunehmendem Umlauf befindlichen Schrift Lob der Torheit/Moriae Encomium wurde in Basel 1515 mit den Zeichnungen von Hans Holbein d. J. ein Bestseller, der Rublack ermöglicht, eine Reihe von Fragen zu formulieren: 

Wo blieb das Wissen der Bibel – und wie ließ sich wahrhaft christliches Leben dazu in Bezug setzen? Was bedeutete der »wahre«, biblische Glaube für die soziale Ordnung? Diese Fragen trieben viele Menschen seit Jahrzehnten um. Im Zeitalter der Reformationen kam es schließlich vor allem durch den Einfluss der Reformatoren Martin Luther, Ulrich Zwingli und Johannes Calvin zur Trennung und politischen Anerkennung der protestantischen Kirchen von der katholischen Kirche.[3]     

 

Welche Fragen uns heute am Protestantismus interessieren könnten, strukturiert insofern die vom Deutschen Historischen Museum kuratierte und organisierte nationale Ausstellung zum Lutherjahr. Am 4. Mai wird auf der Wartburg in Eisenach die Ausstellung Luther und die Deutschen der Wartburgstiftung eröffnet werden. Und am 13. Mai eröffnet die Ausstellung 95 Schätze – 95 Menschen der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt im Augusteum der Lutherstadt Wittenberg. Marketingtechnisch firmieren die drei nationalen Lutherausstellungen als „Die volle Wucht der Reformation“ auf Dreimal Hammer Deutschland im Internet: www.3xhammer.de. Ob überhaupt ein und welcher Hammer bei der Reformation im Spiel war, bleibt unbeantwortet. Hammermäßig soll Aufmerksamkeit erzeugt werden.

Die Ausstellung als Aktualisierungs- und Wissensformat im Martin-Gropius-Bau ist wohl die historisch ambitionierteste. Sie zielt mit ihren international hochkarätigen Leihgaben und der Perspektive auf den Protestantismus in Schweden, Tansania, USA und Korea auf eine Internationalisierung des Luthereffekts für den Deutschen Evangelischen Kirchentag Ende Mai in Berlin und den Weltkongress der reformierten Kirchen in Leipzig mit Empfang im Berliner Rathaus am 2. Juli. Kurz: Mit der schon am 1. April eröffneten Ausstellung Sankt Luther Reformator zwischen Inszenierung und Marketing in der Nikolaikirche des Stadtmuseums Berlin und wahrscheinlich einigen weiteren regionalen Ausstellungen verspricht das Lutherbild 2017 außerordentlich vielfältig und widersprüchlich zu werden. Feridun Zaimoglu hat sich mit seinem „Luther-Roman“ Evangelio gar das Deutsch des Bibelübersetzers vorgenommen: „Dreikantiger Dreckskopf.“ (S. 15)

 

Das Lutherbild splittert im Jubiläumsjahr in seine Widersprüche auf, soviel lässt sich schon jetzt sagen. Lutherstandbilder bzw. -denkmäler wie auf dem Marktplatz der Lutherstadt Wittenberg oder vor der Kirche St. Marien in Berlin werden beispielsweise durch den Berliner Wettbewerb in ihrer Historizität reflektiert. Das 19. Jahrhundert schuf allererst die übergroßen, mächtigen Standbilder in Wittenberg von Gottfried Schadow und Karl Friedrich Schinkel 1821, Dresden 1885 und 1895 vor der Marienkirche etc.[4] Das Lutherdenkmal in Wittenberg wurde zum Prototyp eines verbindlichen Bildprogramms von Protestantismus, Nation und Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Jedes Denkmal wurde seit 1817 mit dem Guss aus der Königlich Preußischen Eisengießerei in Berlin zur technologischen Herausforderung.

 
Abzeichen der Geusen, Leiden 1574 - Inschrift: LIVER TVRCX DAN PAVS/Lieber Türke als Papist (Calvinismus in den Niederlanden)

Statt landeskirchlicher Klein- und Vielstaaterei setzten Gottfried Schadow mit dem Zeigefinger Luthers und Karl Friedrich Schinkel mit dem sogenannten Vaterländischen Stil des Baldachins auf Vereinigung und Vereinheitlichung.[5] Die Lutherdenkmäler gingen um 1900 in Serie. Natürlich war 1917 kein gutes Luther-Jubiläumsjahr. Die Geschichte der Reformationen in Europa lässt sich selbst für Rublack in ihrer Vielfältigkeit schwer erzählen. Denn der Vereinheitlichung im 19. ging im 16. Jahrhundert eine „Formlosigkeit der Reformationsbewegungen“ voraus. 

Die Formlosigkeit der Reformationsbewegungen bis zur Jahrhundertmitte waren dagegen für Frankreich oder die Niederlande typisch, wobei in den Niederlanden neben dem zunächst größeren Einfluss Luthers der Anklang von wandernden Täufern und »Sektierern« sowie das dichte Verfolgungsnetz der Inquisition besonders hervorstechen. Um die Jahrhundertmitte war das organisierte Luthertum nahezu stillgelegt. In beiden Ländern folgte jedoch in den 1560ern eine enorme reformierte Expansionsbewegung, für die Calvins Ideen maßgeblich waren.[6]

 
VON DEN JÜ- // DEN UND IREN // LÜGEN Martin Luther, Wittenberg 1543 (Reproduktion)

Wenn sich keine vereinheitlichende Geschichte des Protestantismus erzählen lässt, weil es kein einheitliches Regelwerk gibt, dann muss man ihn aus praxeologischer Sicht genauer beschreiben. Die Reformation wird vor allem in ihrer Ablehnung des Papsttums und dessen Praxis zur Bewegung mit unterschiedlichen Praktiken. In dieser Verschiebung auf Unterschiede in den Praktiken liegt Ulinka Rublacks historischer Ansatz. So rückt beispielsweise mit dem Gemälde des Inneren des Petridoms in Bautzen von Matthäus Crocinus nach 1644 die Praxis der „Simultankirche“ in Bautzen ins Interesse.[7] Protestanten und Katholiken nutzten nebeneinander den gleichen, unterteilten Kirchenraum. 

Die reformatorische Praxis versuchte der Gesellschaft durch konventionelle Werte ein festes Gefüge zu geben; sie dachte für die Gemeinschaft, nicht für Individuen. Es entstand also keine neue Religion, die sich von Ritualen oder der Sinnlichkeit abwendete, sondern eine, die alte Rituale selektiv aufnahm und ein neues Verständnis für adäquate sinnliche Ausdrucksformen schuf.[8]    

 
VOM KRIGE // WIDDER DIE // TÜRCKEN Martin Luther, Wittenberg 1529

Die Hamburger Kunsthistorikerin Margit Kern legt für die Frage der Sichtbarkeit von Bildern in ihrem Katalogbeitrag Lutherisch? Wie Bilder sich bekennen ebenfalls entschiedenen Wert auf die Praxis als „Bildergebrauch“.[9] Was mit einem Bild wie Luther als Augustinermönch von Lucas Cranach d. Ä. 1520 für sichtbar wird, hängt für Margit Kern von „konfessionelle(n) Aushandlungsprozesse(n)“. Denn Martin Luther wird 1520 und ein Jahr später von Hans Baldung in einem Holzschnitt nicht so sehr als Reformator oder gar Protestant, sondern als mit den Merkmalen wie der römischen Tonsur der Augustinermönche ins Bild gesetzt und als Druck verbreitet. 

Nicht die bisher in der Forschung in den Vordergrund gerückte Entstehung eines Bildtypus entscheidet über die Frage, ob wir es mit einer konfessionsspezifischen Bildsprache zu tun haben, sondern die Rhetorik der Bildverwendung und damit der Bildgebrauch. Dadurch gerät allerdings die Frage nach der Sichtbarkeit und dem Prozess der Sichtbarmachung von konfessionellen Unterschieden ins Zentrum. Wie ist diese Wahrnehmung gewährleistet, und wann tritt sie ein?[10]

 
Polemische Schrift in Schwedisch gegen die Römische Kirche, Linköping 2. Hälfte 16. Jh., Martin Luther und der Jesuit Robert Bellarmin werden als Illumination gegenübergestellt.

Der Kirchenreformator Martin Luther und seine visuelle Darstellung wie Wahrnehmung, die weitgehend das 19. und 20. Jahrhundert bestimmt haben, sind nicht nur in einer merkwürdigen Kombinatorik von Gelehrtendarstellung im Talar statt Mönchskutte bei Schadow und französischem Gotik-Baldachin wie für das Denkmal für die Königin Luise von Preußen in Gransee (1811) als „vaterländischem Stil“ bei Schinkel zum verbindlichen Bildtypus geworden. Vielmehr muss die Sichtbarkeit des Reformators und seiner liturgischen Geräte seit dem 16. Jahrhundert ausgehandelt werden. 

Was als protestantisch oder als katholisch wahrgenommen wurde, musste sich erst langsam entwickeln. Unmittelbar nach der Reformation war dies noch längst nicht klar, sondern man kann im Gegenteil davon ausgehen, dass in der gesamten Frühen Neuzeit Prozesse stattfanden, die hier als »konfessionelle Aushandlungsprozesse« bezeichnet werden.[11]  

 
Taufservice der Familie Grill (Kanne und Becken), Christian Precht u. Johan Collin, Silber, Stockholm 1745

Die Exponate der Ausstellung Der Luthereffekt sind nicht einfach in der Weise sichtbar, dass man sagen könnte: „Wunderbar. Das kenn ich!“ Vielmehr müssen sich die Exponate und ihre Sichtbarkeit erarbeitet werden, um die Bilder in ihren Brüchen und Widersprüchen wahrnehmen zu können. Die Reformationen werden auf diese Weise zu einem praxeologischen Prozess, der ständig Bilder fortreißt, im Bildersturm löscht, um sie anders wieder auftauchen zu lassen. Anders gesagt: Die Exponate als Bilder werden erst durch einen Prozess sichtbar. Um ein Bild vom Reformator Martin Luther zu geben, werden einzelne Bildelemente rhetorisch kombiniert. 

Diese – in unseren Augen – schrille Fusion aus lutherischem Reformator und altkirchlichen Heiligen ließe sich vermutlich von allen bisher gezeigten Beispielen am ehesten mit dem Begriff der »Hybridität« in Zusammenhang bringen.[12] 


Zeremonientrommel der Sámi

An diesem Punkt erschließt sich das Ausstellungskonzept deutlicher. Geht man erst von der Hybridität der protestantischen Bilder aus, dann passen auch die hybriden Bilder und Praktiken des Protestantismus in Schweden, Tansania, USA mit Pennsylvania und Korea mit dem Ansatz zusammen. Um den Mittel- oder Einführungsteil der Reformationen im Lichthof des Martin-Gropius-Baus sind an jeder Seite jeweils zwei regionsspezifische Ausstellungen eingerichtet. Der Protestantismus wird in Schweden im 16. und 17. Jahrhundert einerseits als Chance des geopolitischen Aufstiegs ergriffen. Schweden wird zur freiheitlichen Schutzmacht des Protestantismus in Europa, andererseits werden die Sámi massiv gezwungen, den Schamanismus der Runen und Trommeln aufzugeben.

 
Dis sint de Sitten von Lappland, vor 1668 (Rechts unten mit Zeremonientrommeln und Teufeln wie sodomitischer Szene am Rentier)

Der lutherische Protestantismus wird gerade in Schweden zum machtpolitischen Missionsprogramm. Zwar wird die Mission landläufig vor allem mit dem Katholizismus und z. B. den Jesuiten in China bzw. Asien im 16. und 17. Jahrhundert in Verbindung gebracht, doch in Schweden wird der Lutherismus frühzeitig zur Staatsreligion - Ein Land, ein Glaube, Schweden wird zur lutherischen Großmacht. Wer Schwede sein will, muss in die protestantische Staatskirche eintreten. Der Mythos der Nation Schweden wird unauflösbar mit der lutherischen Staatskirche verknüpft. „Das Rivalisieren der großen Konfessionen setzte … kreative Prozesse in Gang, denen wir ästhetische und ikonographische Neuerungen verdanken“, schreibt Margit Kern.[13] Dies gilt wie auf dem Sittengemälde aus Lappland mit sámischen Teufeln unten und Prozession in die Holzkirche oben besonders für Schweden.   

 

Wie sehr sich der jeweilig regionale Protestantismus seine Bildwelten als Hybrid kombiniert und aneignet wird insbesondere an Tansania und Korea deutlich. Eine Krippe der Makonde in Tansania kombiniert die traditionelle Holzschnitzkunst in ihrer eigenen Hybridität mit dem christlichen Thema.[14] Die Krippe als Bildmotiv der Anbetung und Verehrung wird mit rituellen Praktiken der Makonde kombiniert. Sieht man die Makondeschnitzerei zum ersten Mal, ohne sie gleich mit dem Titel einordnen zu können, dann werden die Bildelemente der Taube, des nackten Kindes und Mutter sowie der Tiere im Stall erst nach und nach sichtbar. Der makondische Lebensbaum schimmert in der Krippe durch.  

 

Der Fotograf und Dokumentarfilmer Karsten Hein hat 2016/2017 eine Reportagereise durch Tansania und seiner an der lutherischen Tradition orientierten Kirche unternommen. Neben lutherischen Gemeinden existieren und vermischen sich auch evangelikale Strömungen in der religiösen Praxis Tansanias. Die Vielfalt der spirituellen Praktiken mit lutherischen, afrikanisch-animistischen und evangelikalen Einflüssen bis zum "Faith Healing" bzw. Exorzismus wird in einer großflächigen Installation präsentiert. Die Geschichten zu den Fotografien können und müssen sich die Ausstellungsbesucherinnen selbst erzählen oder können sie im Katalog nachlesen:

Der »Morning Glory« in der Kariakoo-Kirche enthält viele Elemente, die nicht der lutherischen Tradition entstammen, »Find your true self!« ist eine der dort gepredigten Botschaften. Bischof Alex Malasusa (geb. 1960), der ehemalige Präsident der Bischofskonferenz der ELCT, nennt das »Faith Healing« den Kern der afrikanischen Religiosität. Um Heilung bitten Menschen mit psychischen Erkrankungen, die auf Dämonen zurückgeführt werden. (Kat.-S. 384)

 

Korea wird in der Ausstellung als „Boomland des Protestantismus“ mit lutherischen wie evangelikalen Megakirchen inszeniert. Während nach 1945/49 oder teilweise bereits vorher die christlichen Kirchen China und Nord-Korea verlassen mussten, kam es auf Taiwan und in Süd-Korea zu einer Konzentration der emigrierten chinesischen und koreanischen Christen. In beiden Ländern spielten und spielen evangelikale Prediger wie Billy Graham seit den 50er Jahren verstärkend eine Rolle. Der durchaus mit der Tradition des Konfuzianismus kombinierbare „Prosperity-Glaube“ als „Dreiklang von Seelenheil, Gesundheit und materiellem Wohlergehen“ (Kat-S. 275) wird durch eine Selbstorganisation der Gemeinden zu einem zivilgesellschaftlichen Faktor Süd-Koreas.

 

 

 

In der Bilderwelt des koreanischen Protestantismus spielt der Zyklus Das Leben Jesu Christi von Kim Ki-chang als Hybrid der koreanischen Chosön-Zeit (1392-1910), Protestantismus, Katholizismus, Tuschemalerei und europäischer Bildmotive eine einzigartige Rolle. Kim schuf den Tusche-Bildzyklus, in dem gar stellenweise das japanische Genre des Ukiyo-e eines Hokusai wie in Der Gang Jesu auf dem Wasser (Matthäus 14,23-33) durchschimmert, nach „religiösen Träume(n) und Erscheinungen“ (Kat.-S. 294). Auf traumartige Weise vermischen sich in den Tuschebildern unterschiedliche maltechnische wie narrative und kulturelle Ebenen.

 

 

Der Zyklus, der 1950 entstanden ist, wird zum ersten Mal in Europa gezeigt und macht Jesus zum Koreaner bzw. zum traditionell koreanischen Christen protestantischer Herkunft. Es geht nicht nur darum, dass eine Bildgeschichte erzählt wird, die sichtbar macht, „Wenn Jesus Koreaner wäre“, vielmehr lässt sich an Kims Bildkompositionen ein kulturell-spiritueller Prozess verfolgen, wie er nur selten beobachtet und überdacht werden kann. Er entspringt nicht zuletzt einer nicht benennbaren Traumlogik, in der zusammenpasst, was ansonsten kulturell separiert wird. Auf kaum erklärliche Weise vermischt sich in der Heilung eines Aussätzigen (Markus 1,40-45) das Jesuanische Heilungswunder mit der japanisch(-koreanischen) Kulturpraxis des Kirschblütenfest Hanamis (Blüten betrachten). Die Menschen sind in den Kirschhain vor dem Dorf oder der Stadt gezogen, um die Kirschblüten wie Jesus – im Heiligenschein – zu betrachten und werden vom Aussatz bzw. der Lepra geheilt. Betrachtet wird das üppige Erblühen und Vergehen der Kirschblüten als Analogie auf das Leben der Menschen wie es zuerst als Titel für das 8. Kapitel des japanischen Romans Genji monogatari der Hofdame Muarasaki Shikibu im 11. Jahrhundert verwendet wird. 

     

 

 

Im Ausstellungsbereich USA begrüßt eine fast menschengroße Fotografie von Abraham Lincoln auf einer Folie die Besucher mit der durchaus baptistisch-evangelischen Formulierung: „Intelligence, patriotism, Christianity, and a firm reliance on Him, who has never yet forsaken this favored land, are still competent to adjust, in the best way, all our present difficulty.“ Vor dem Panorama von Philadelphia als Hauptstadt der Kolonie Pennsylvania von 1761 wird das Versprechen der Problemlösung des ebenso bevorzugten wie beliebten Landes, das sich auf Ihn, Gott, verlässt, beispielhaft zitiert. Zu Gottes bevorzugtem Land wurden die Vereinigten Staaten von Amerika vor allem durch die aus Deutschland und Europa geflüchteten evangelischen Christen wie die Baptisten aus Amsterdam, denen Lincoln durch sein Elternhaus verbunden war, oder den englisch-protestantischen Quäkern.

 

 

Quäker, Anglikaner, Presbyterianer, Mennoniten, Amische, Schwarzenauer Brüder, Schwenkfelder und Herrnhuter, Lutheraner und Reformierte machten die Vereinigten Staaten von Nordamerika vor allem zu einem protestantischen Land unterschiedlicher, religiöser Praktiken. In der Ausstellung wird besonders die Koloniegründung durch den Quäker William Penn 1681 als Pennsylvania berücksichtigt. Sie galt als »Holy Experiment« nicht zuletzt der Toleranz gegenüber Andersgläubigen. Im 18. Jahrhundert finden sich auf dem Panorama Philadelphias die Türme des State House, der anglikanischen Christ Church, der Dutch Calvinist Church und der Presbyterian Church, neben dem turmlosen Quakers Meeting House.[15] Das Stadtbild präsentiert vier unterschiedliche, protestantische Glaubensrichtung.

 

 

Doch Toleranz und heiliges Experiment schützten die indianischen Ureinwohner und schwarzen Sklaven nicht davor, missioniert zu werden. War das schlecht oder gut? — Westward Ho! bzw. Westward the Course of Empire takes its way aus dem Jahr 1861 wird zum Bild der amerikanisch-protestantischen Landnahme als Freiheitsmythos des christlichen, weißen Siedlers par excellence. In der Ausstellung ist eine Studie für das monumentale Wandgemälde im Kapitol von 20 x 30 Fuß/6,09 x 9,14 Meter zu sehen. Emanuel Gottlieb Leutze, geboren im katholischen Schwäbisch Gmünd, aufgewachsen in den USA, ausgebildet als Maler in Pennsylvanias Hauptstadt Philadelphia und 1841/42 an der Kunstakademie Düsseldorf gibt der Eroberung und Besiedlung der Oregon Territorien ein geradezu religiöse Bildhaftigkeit. Das nationale Unternehmen der Westexpansion wird in der Vorfassung durch eine Grablegung vor einem großen Holzkreuz „mit dem Opfertod Christi“ bildlich kombiniert, während dieses Motiv auf dem Wandgemälde fehlt und mit dem Bildelement einer Frau mit Kind, die an „Maria auf der Flucht nach Ägypten“[16] erinnert, ersetzt wurde.

 

 

Der Historiker Wolfgang Reinhard fragt in seinem Beitrag für den Katalog als „Ausblick“ Reformation global? und insistiert, dass „der Zusammenhang zwischen Protestantismus und Kolonialismus, der bis heute nachwirkt, … komplizierter“ war.[17] Eingefügt und illustriert wird die Frage z.B. „der Eingliederung Afrikas in die westliche Weltwirtschaft“ mit dem sogenannten Erstlingsbild von Johann Valentin Haidt aus dem Jahr 1748.[18] Dieses Bild wird nicht zuletzt als Cover- und Plakatmotiv für die Ausstellung zum farbigen Versprechen des nach Reinhardt durchaus positiven Protestantismus in seiner missionierenden wie kolonialisierenden Funktion. Das ist nun ein kleiner oder auch großer Skandal, wenn man genauer hinschaut. Denn Haidt hat auf dem Erstlingsbild „die bereits verstorbenen ersten Konvertiten aus allen ethnischen Gruppen, unter denen die Herrenhuter tätig waren, auf einem Gemälde vereint“.[19] Na, dann ist ja alles prima und es hat keinen Genozid an den Indianern Nordamerikas gegeben. – Oder wie soll man nun die globale Einordnung des Protestantismus und seiner Werke verstehen?          


Torsten Flüh

 

Der Luthereffekt 

500 Jahre Protestantismus in der Welt 

bis 5. November 2011 

Martin-Gropius-Bau 

Berlin

 

KATALOG 

432 Seiten, 450 Abb., Festeinband 

Museumsausgabe: 29,90 € 

ISBN: 978-3-86102-200-8 

Bestellung unter: verkauf@dhm.de oder Tel. 030-20304-731 

(Versand innerhalb Deutschlands: 6 €, international: 9 €)

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[1] Alexander Lang: Die Prostetation zu Speyer von 1529. In: Evangelische Kirche Deutschlands 16. April 2004.

[2] Ulinka Rublack: Reformationen in Europa. In: Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Luthereffekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt. Berlin: Hirmer, 2017, S. 12.

[3] Ebenda.

[4] Siehe auch Torsten Flüh: Lucas Cranach im digitalen Umbruch. Zwischen Werkkatalog und Datenbank: Cranach Digital Archive. In: NIGHT OUT @ BERLIN 28. Februar 2014 18:48.

[5] Am 19. Oktober 1811 war Karl Friedrich Schinkel Denkmal für Königin Luise auf dem Marktplatz von Gransee eingeweiht worden. Es war ebenfalls in der Königlich Preußischen Eisengießerei in Berlin als technologische Herausforderung gegossen worden. Der Baldachin des Lutherdenkmals wiederholt exakt den neo-gotischen bzw. vaterländischen Stil der Überdachung des Luisendenkmals.  

[6] Ulinka Rublack: Reformation … [wie Anm. 2] S. 15.

[7] Ebenda S. 19.

[8] Ebenda S. 18.

[9] Margit Kern: Lutherisch? Wie Bilder sich bekennen. In: Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der … [wie Anm. 2] S. 36

[10] Ebenda.

[11] Ebenda S. 36-37.

[12] Ebenda S. 37.

[13] Ebenda S. 37.

[14] Makondeschnitzerei: Krippe. In: Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der … [wie Anm. 2] S. 371. 

[15] Ansicht von Philadelphia. In: Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der … [wie Anm. 2] S. 186.  

[16] Westwärts Ho! Westwärts geht der Weg des Imperiums. In: Ebenda S. 247.

[17] Wolfgang Reinhard: Reformation global? In: Ebenda S. 395.

[18] Ebenda S. 394/95.

[19] Erstlingsbild. In: Ebenda S. 199.  


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