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Der Kracher - The Ballery zeigt Jan Maschinskis Ausstellung Badluck zum Jahreswechsel

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Feuerwerk – Glück – Trauma 

 

Der Kracher 

The Ballery zeigt Jan Maschinskis Ausstellung Badluck zum Jahreswechsel 

 

Wie spricht man denn nun den Namen The Ballery aus? Simon Williams, Managing Director, erklärt ihn mit einem Tippfehler: Er wollte „Gallery“ schreiben, tippte stattdessen „Ballery“ und fand es einen prima Namen für sein Projekt im Nollendorf-Kiez. In der Nollendorf-, Fugger-, Motz-, Eisenacher etc.-straße zählen allerdings auch die im Englischen mehrdeutigen balls, die man(n) hat oder nicht. Überhaupt erinnert Ballery ebenso an ballet (ˈbæleɪ), was schon deshalb passt, weil Williams weiterhin gelegentlich als Tänzer und Choreograph arbeitet. Demnächst wird er wieder 4 Vorstellungen an der Oper Zürich in Ingo Metzmachers Tannhäuser, also in der Venusberg-Szene zu sehen sein. Mit seinem smarten Assistant Director Otto Oscar Hernández Ruiz und Miss Tilda führt er engagiert The Ballery seit 4 Jahren in der Nollendorfstraße 11-12.

 

Passend zum Silvesterfeuerwerk hatte Williams den mittlerweile in Berlin lebenden Fotografen und Media Artist Jan Maschinski mit seiner Ausstellung Badluck eingeladen. Im Deutschen kennt man Glück im Unglück, im Englischen bad und good luck. Schockfotos zum Silvesterfeuerwerk! Zerfetzte Körperteile. Chinakracher zwischen kindlichen Fingern. Sie kennen das. Am 31. Dezember 2018 zogen mittags Kinder die Lindower Straße zum Nettelbeckplatz hoch, indem sie Raketen und immer wieder größere Böller jaulend detonieren ließen. Mutprobe. Spaß. Sie hatten eine ganze Supermarktpackung dabei.

 

Sie haben gewiss einmal von Verletzungen durch Feuerwerkskörper gelesen. Vom S-Bahnhof Wedding aus konnte ich kaum eingreifen und dem leichtsinnigen Spaß der Kinder, vielleicht Roma aus der Gerichtstraße, ein Ende bereiten. Rufen, schimpfen, brüllen wäre zwecklos gewesen. Bald kam ein Polizeieinsatzwagen herangefahren. Jemand hatte bei der Polizei angerufen. Aus dem heruntergefahrenen Fenster redete wohl ein Polizist auf einen höchstens Zehnjährigen und die Kinder ein. Mehr passierte nicht, aber es passiert auch nichts mehr. – Jan Maschinski explodierte 1993 vor seinem rechten Auge ein kleiner, fast winziger Chinakracher.

 

Für die Schockfotos muss man nicht wissen, dass Jan 9 Jahre alt war, als durch einen Chinakracher explodierend die Linse seines rechten Auges verletzt wurde. Das rechte Auge ist seither blind. Sein Gesichtsfeld, wie man so schön im Deutschen sagt, halbiert. Die Schockfotos, von denen schon Roland Barthes 1966 in Mythen des Alltags schrieb, verletzen.[1] Sie zeigen nicht nur eine Verletzung, vielmehr verletzen sie das Blickfeld des Betrachters. Badluck dreht und transformiert ein Trauma in vielfacher Weise. Jan Maschinski hat sein Trauma mit dem Medium der Fotografie zum Ansatz seiner Kunst gemacht. Das Trauma lässt sich nicht verarbeiten, aber bearbeiten und transformieren. Einerseits wird das Reale schockgefrostet mit der Fotografie, andererseits lösen die Fotos Schocks aus.

 

Die oft großformatigen Fotoarbeiten von Maschinski sind ultrascharf und hyperrealistisch. Die Größenverhältnisse sind erst auf den zweiten Blick, wenn man zu messen und zu vergleichen beginnt, leicht verrutscht. Hinter dem rechten Ohr hat er sich einen Chinakracher stechen lassen. Er ist mini. Eine Kleinigkeit fast, die man über- oder falschsehen könnte. Nichts Großes, kein Polenböller, wie sie in Berlin illegal im Umlauf sind und massiv detonieren. Immer wieder rückt Maschinski diesen fast winzigen Chinakracher ins Bild: In der Nähe zum erblindeten Auge hinters Ohr gestochen, auf einer größeren gelben Fläche wird der kleine, rote Kracher fast mehr durch den größeren Schatten als von selbst sichtbar. In einem Video wird der harmlose Kracher in einer Endlosschleife immer wieder angezündet, um zu explodieren. Danach ist da nichts mehr als ein wenig Rauch.

 

Das Winzige entwickelt bei Jan Maschinski eine eigene Dynamik. Er lässt das Video auf einem eher kleinen, handelsüblichen Bildschirm laufen. Das Größte im Video ist das Streichholz mit seinem Schwefelkopf. Erst wenn man sehr genau hinschaut, lässt sich ein winziger Spielzeug-Soldat mit Maschinengewehr, Helm und Walky Talky am Ohr erkennen. Ist es ein Miniatur-Soldat, der extra als Halter für kleine Chinakracher angefertigt worden ist? Zum Trauma gehört die widersinnige Transformation der Größenverhältnisse. Winziges wird riesenhaft und Großes winzig.

 

Das Freudenfeuerwerk und überhaupt das Feuerwerk hat seine Ursprünge in der Kriegführung. Warum sind gerade Kinder fasziniert vom Feuerwerk? Das Unwissen spielt eine entscheidende Rolle. Dabei sind die Feuerwerke aus der chinesischen Kultur mit der Vertreibung von bösen Geistern verknüpft. Für Geschäftseröffnungen wurden noch 1995 Chinakracher oder Schinken, wie sie im Deutschen heißen, in Shanghai gezündet, um böse Geister zu vertreiben. Was als ein Freudenfeuerwerk wahrgenommen wird, soll am vorletzten Tag des chinesischen Neujahrsfestes beim Reinigen der Gräber der Ahnen noch heute – in einigen ländlichen Regionen – böse Geister vertreiben. Kulturell hat das Feuerwerk viel mit einem schwer fassbaren Wissen vom Unglück zu tun.  

 

Vielleicht ist das Unglück wichtiger für das Glück als umgekehrt. Ob sich ein Ereignis in Glück oder Unglück verkehrt, kann man nach einigen chinesischen Sprichworten nicht wissen. Ein erfahrenes Unglück kann sich sehr wohl in Glück verkehren. Erst wer das Unglück kennt, vermag das Glück zu schätzen. Darin könnte das größte Problem der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft liegen, dass das Glück nicht geschätzt wird. Natürlich wird das Trauma des verletzten Auges von Jan Maschinski mit seinen Medienarbeiten nicht einfach in Glück verwandelt, doch sie helfen ihm über das Trauma ins Gespräch zu kommen. Andererseits generiert das Trauma weitere Traumata, wie das Füttern des verletzten Jungen im Krankenhaus durch die Schwestern. Maschinski verwandelt dies ebenso in eine Fotoarbeit.

 

Die zerfetzten, hyperrealistischen Körperteile sind Fälschungen. Das unterscheidet die Schockfotos von Roland Barthes zu heute. Was als hyperrealistisch wahrgenommen wird, sind digitale Ver- und Bearbeitungen. Die Fotos können verletzen und trotzdem digital bearbeitet sein. Die Bilder beginnen, hin und her zu kippen. Was an einen abgerissenen Penis erinnert, könnte ebenso eine Schweinezunge oder ähnliches sein. Der Betrachter muss nicht wissen, was es „wirk-lich“ ist, um die Wirkung zu spüren. Maschinky kombiniert das Foto von einer nackten Sphynx-Katze in ungewöhnlicher Haltung mit schwarzem Haar auf dem Boden. Und schon denken die Betrachter*innen, das arme, verschreckte Tier sei geschoren worden. Dabei sind Sphynx-Katzen eine eigene Rasse, die keine Haare hat. Wir lassen uns, in dem was wir sehen, nur all zu gern auf Täuschungen ein.

 

Simon Williams hat mit The Ballery in der Nollendorfstraße mehr und anderes als nur eine Galerie entwickelt. Das liegt nicht zuletzt an seinem umwerfenden Charme und seinen kommunikativen Fähigkeiten. The Ballery ist in Zeiten, in denen selbst bei queerem Publikum die Offenheit für künstlerische Produktionen schwindet, mit seinem Konzertflügel, der mal mittig, mal in eine Ecke verschoben wird, fast ein Salon. Simon – „Hello, I’m Simon …“ – ist mehr Gastgeber als Galerist. Gleich um die Ecke am Nollendorfplatz gelegen, kommen Leute aus dem Kiez einfach vorbei und werden schon in ein Gespräch verwickelt. Gelegentlich schaut ein Künstler vorbei wie der Australier Chris Lloyd vorbei und spielt am Flügel.

 

Chris Lloyd – „he is lovely“ – kommt dann bei einer mehr oder weniger privaten Geburtstagsfeier vorbei, setzt sich an den Flügel und lässt aufhören. Alle hören zu. Der Nollendorf-Kiez ist ebenso unprätentiös wie außergewöhnlich. Hier passiert mit Nonchalance, was woanders selbst in Berlin ein Event wäre. Simon, der große Kommunikator bringt die Leute und Penthouse-Besitzer vom Winterfeldplatz zusammen mit denen aus dem Wedding. Kürzlich sagte ein Freund, Schöneberg und der Nollendorf-Kiez mit seiner queer History seien die Hamptons von Berlin. Mit einem gewissen Understatement ist man im und um den Nollendorf-Kiez superreich oder auch nicht, meistens aber queer. Das legendäre Eldorado lag in den 20er Jahren um die Ecke und in der Motzstraße 23 überlebt im 40ten Jahr der Buchladen Prinz Eisenherz mit „queere(n) Neuheiten + Empfehlungen“.

 

Die Event-Jagd hat nicht nur in Berlin verstörende Formen angenommen. Eine Theater- oder Konzertkarte, einen Startplatz beim Berlin-Marathon ergattert und bezahlt haben zu können, gilt fast schon mehr als das Event selbst. Anders lassen sich bestimmte Effekte der Social-Media kaum erklären. Man hat das Event, wenn man es gebucht und anderen weggenommen hat. Ob man etwas damit anfangen kann, ist unwichtig. In The Ballery finden wirkliche Events statt, für die es keine Karten online gibt. Das macht das aus, was man andernorts und früher einen Salon nannte. Nonchalant setzt sich Chris Lloyd an den Flügel und spielt so innig, dass alle hinhören wollen. Dafür bedarf es allerdings einer Offenheit, die im Mega-Event-Marketing wie dem Konzert von Cher im September 2019 nicht erforderlich sein wird.

 

Um die Ecke am Nollendorfplatz feierte Erwin Piscator Ende der 20er Jahre Erfolge mit seiner Simultanbühne und Herr Katzenellenbogen schenkte Tilla Durieux gleich das ganze Theater als Morgengabe, nach einer unvergleichlichen Nacht. Jedenfalls kursieren solche Geschichten über das Neue Schauspielhaus, das dann auch einmal Metropoltheater hieß, und das heute noch als Goyaüberhaupt eine wechselvolle Geschichte aufzubieten hat. Wo viel Geld umläuft, verschwindet auch viel. Christopher Isherwood hat hier in den frühen dreißiger Jahren gewohnt und später seine Berlin Stories geschrieben. Der Kiez ist ein Dorf, das sich zum Hochfinanzdistrikt wandelt. Die Mieten explodieren und die Bar Hafen kann nach einem Eigentümerwechsel partout die Miete nicht mehr zahlen.  

 

Torsten Flüh

 

The Ballery

Nollendorfstraße 11-12

10777 Berlin

  

Prinz Eisenherz 

Motzstraße 23 

1077 Berlin

  

Jan Quirin Maschinski

  

Chris Lloyd

 

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[1] Roland Barthes: Schockphotos. In: ders.: Mythen des Alltags. Frankfurt am Main: suhrkamp, 1966. 


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