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Berlins heimliche Free-Jazz-Königin sprengt Sendesaal - Aki Tanases fulminantes Preisträgerinkonzert im Kleinen Sendesaal des rbb

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Freiheit – Jazz – Session 

 

Berlins heimliche Free-Jazz-Königin sprengt Sendesaal 

Aki Tanases fulminantes Berliner Jazz-Preisträgerinkonzert im Kleinen Sendesaal des rbb 

 

Der Berliner Jazzpreis 2018 wurde am 26. Juni im Kleinen Sendesaal an der Masurenallee Aki Tanase verliehen. Woraufhin 高瀬アキ eine fulminante Jazz-Session mit der Dichterin Yoko Tawada, dem Saxophonisten Rudi Mahall und Alexander von Schlippenbach entfachte, die den Kleinen Sendesaal im Haus des Rundfunks sprengte. Aki Tanases internationale Karriere begann mit einer Aufnahme beim Berlin Jazz Festival am 5. November 1981. Ihr erstes Album 1980 nannte sie kurz und programmatisch AKI 1978 bei King Records. Aki in schwarzem Ballet Suit mit langem Haar an einer Ballettstange und mit eigenem Trio – Nobuyoshi Ino, Bass etc., Takuji Kusumoto, Drums und Latin Percussion. Sie ist mehr Venyl als Bits und kommt aus einer Zeit, als die Freiheit noch von Hand, nämlich im Free Jazz gemacht wurde.

 

Free Jazz war und ist bis heute ein Versprechen und eine Praxis der Freiheit. „Die Freiheit der künstlerischen Gestaltungsmittel war und ist wesentliches Merkmal der vielen verschiedenen Bands und Projekte, an denen Aki Takase beteiligt ist“, begründet die Jury, zu der Ulf Drechsel vom RBB gehörte, die Preisverleihung an Aki Tanase. Der Jazzredakteur des RBB erzählt in seiner Laudatio, wie er Aki Tanase 2004 in Berlin kennenlernte, als sie ihn ansprach und seine Sendung lobte, die sie gehört hatte. Er kannte sie von LPs und vom Hörensagen. Doch nun lernte er sie als Pianistin, Interpretin und Komponistin kennen. Es muss um die gleiche Zeit gewesen sein, als der Berichterstatter Aki Tanase durch die Schriftstellerin Yoko Tawada im b-flat noch in der Rosenthaler Straße 13 an einem Wochentag bei einer Session traf.

 

Yoko Tawada und Aki Tanase performten neue Text-Musik-Improvisationen. Das klang ein wenig wie Poetry Slam und Free Jazz. Der b-flat Acoustic Music & Jazzclub, der seit 2016 in der Dircksenstraße ein tägliches Musikprogramm bietet, gehört zu den typischen Jazzclubs und damit Auftrittsorten von Aki Tanase. Es sind meistens aus Musikerinitiativen geschaffene Freiräume für die ganze Breite des Jazz und musikalische Interventionen. Jazz war bis zum Rauchverbot im Lokal immer Zigarettenrauch, abgedimmtes Licht, Bier, Bourbon und Cocktails. An jenem Abend zu Beginn der Nullerjahre, wie man sagt, experimentierten Aki Tanase und Yoko Tawada mit onomatopoetischen Texten und Tönen am Flügel. Das Publikum an jenem Abend blieb überschaubar. Was man gehört hatte, ließ sich nicht genau einordnen.

 

Der Zug zur Freiheit des Experiments als Improvisation zeichnet Aki Tanase und ihr eher flüchtiges Jazz-Werk aus. Free Jazz war seit den 50er Jahren eine ebenso musikalische wie intellektuelle Herausforderung. Zunächst einmal war die Geste der Freiheit einer nicht in Noten gefassten Musik aus der Improvisation entscheidend. Die Geschichte des Free Jazz speist sich überwiegend aus den Namen der Musiker und ihrer Bezugnahmen aufeinander. Dabei war natürlich auch dieses freiheitliche Musikgenre ein von Männern dominiertes. Dass Aki Tanase 1978 mit ihrem Trio ein Jazz-Album einspielte, dürfte auch und nicht nur für Japan eine Novität gewesen sein. Sich als Frau in der Free Jazz-Szene zu behaupten, setzte sicher voraus, mit ihnen mithalten zu können, und zwar auf technisch-musikalischer wie intellektueller Ebene.

 

1981 brachte Aki Tanase als drittes Album Minerva’s Owl mit der gleichnamigen Komposition von 6:14 Minuten zusammen mit dem New Yorker Saxophonisten Dave Liebman heraus.[1] Der Wink auf Georg Friedrich Hegels Grundlinien des Rechts und Geschichtsphilosophie mit der „Eule der Minerva“, die „erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug (beginnt)“[2], dürfte auch ein intellektuelles Statement gewesen sein. Doch was genau Komposition bei dieser Venyl-LP hieß, bleibt offen. Denn einerseits komponierte Aki alle 5 Titel wie Being, Blues For Toko, Monologue, In Groups Of Pipers und eben Minerva’s Owl. Andererseits wird vermerkt, dass alle Titel von „Aki Tanase & Dave Liebman“ komponiert (composed) wurden. Womit die einmaligen Improvisationen vom 12., 13. und 14. Dezember 1980 rechtlich als Kompositionen gelten.

Man darf davon ausgehen, dass Aki Tanase die Titel ihrer Alben formuliert und ausgesucht hat. Sie bestätigte nicht zuletzt mit dem Album Esprit (1981) die Intellektualität des Free Jazz und eignete diese sich an, indem sie mit dem Bassisten Yoshio Ikeda Stücke der Jazz-Größen Miles Davis, Michael Leonard, John Coltrane, Thelonious Monk und Sonny Rollins interpretierte und bei Gabriel Urbain Fauré Après Un Rêve – Valencia gar bearbeitete. Der Titel Esprit huldigt insofern durchaus dem Geist und Einfallsreichtum der Jazz-Kollegen. Doch er eignet sich diesen auch kreativ selbstbewusst an. Sie lässt sich nicht von den intellektuellen Gesten der Männer abschrecken, sondern dockt eigenwillig und empathisch musikalisch an sie an.

 

Jazz und Free Jazz werden als männliche Geschichten erzählt. Unter den 22 Namen der „Herausragenden Alben des Free Jazz der 1960er und 1970er Jahre“ auf de.wikipedia.org findet sich zwischen Albert Aylers Spiritual Unitüber Alexander von Schlippenbachs Globe Unity bis Attila Zoller The Horizon Beyond kein einziger Frauenname. Frauen sangen und singen allenfalls im Jazz – Ethel Waters, Betty Carter etc. Die Herkunft des Wortes Jazz ist mehr oder weniger ungeklärt. 1912 wird es zum ersten Mal schriftlich im Kontext eines Baseballspiels in der Los Angeles Times als „jazz ball“ gebraucht, dessen Flug so beschrieben wird, „weil er wackelt und man damit einfach nichts anfangen kann“.[3] Der „jazz ball“ wäre insofern ein außer Kontrolle geratener Ball im Spiel. Und vielleicht ist es diese Bedeutungsmöglichkeit eines Außer-Kontrolle-geratens, die das Musikmachen in den Kneipen und Clubs von Anfang an begleitet.

 

Gleichfalls wurde die Unkontrollierbarkeit laut Tom Vitale, einem Jazz-Experten des NPR, National Public Radio, durch eine Erinnerung an ein Gespräch im Jahr 1979 mit dem farbigen Jazz-Komponisten Eubie Blake mit der männlichen Sexualität in Verbindung gebracht. Bevor der Broadway von „J-A-Z-Z“ gesprochen habe, habe man es „J-A-S-S“ genannt, was man in der Anwesenheit von Frauen nicht hätte gebrauchen dürfen. Jass kennt der englische Wortschatz nicht, aber jizz. Die vielfache Umschreibung des Wortes in der Umgangssprache legt insofern nahe, dass es sich um jizz handeln könnte.[4] 

He said that when this music made its way to the New York stage, it was a given a racier name — one that Blake says was derogatory. He wouldn't even say the word, only spell it. 

"When Broadway picked it up, they called it 'J-A-Z-Z,'" he says. "It wasn't called that. It was spelled 'J-A-S-S.' That was dirty, and if you knew what it was, you wouldn't say it in front of ladies."[5]

 

Gleichviel, ob der 92-jährige Eubie Blake seinerzeit einen populär erweiterten Wortschatz kannte oder eine eigene Etymologie mit dem Jazz verband: er gibt damit einen Wink auf eine geschlechtliche Verknüpfung des Begriffs, der zum Namen eines besonders diversen Musikgenres werden sollte. Und zweifellos wurden das Musikgenre und dessen Aufführung spätestens in den 20er Jahren in Europa, insbesondere Berlin, mit dem Geschlecht als Sexualität in Kategorie und Praxis sowie Rasse und Klasse verknüpft. In jener Zeit hält der Jazz nicht zuletzt für Frauen im Tanzen ein körperliches Befreiungsversprechen bereit. Jazz befreit den Körper von den abgezählten Choreographien der Gesellschaftstanz-Schritte.

  

Popoder populäre Kultur und klassische, um nicht zu sagen, bürgerliche Musikausbildung spielen auch für Aki Tanase eine entscheidende Rolle für den Free Jazz. Wie Ulf Drechsel in seiner Laudatio erwähnt, soll sie durch das Hören von Schallplatten in Studentenclubs in Osaka und Tokio zum Jazz gekommen sein. Pop und ein umfangreiches Musikwissen verknüpft sie spielerisch zu einer ganz eigenen Handschrift. Ihr zweites Album veröffentlichte Aki Takase mit populären Jazzinterpretationen unter dem Titel As Time Goes By zwischen Tara’s Theme, The Third Man Theme und Over The Rainbow, was schon darauf hindeutet, dass es für sie immer beides gibt intellektueller Free Jazz und Pop.

 

Aki Tanase versteht sich wohl nicht zuletzt als eine Rebellin des Jazz. Sie hat immer wieder neue Projekte wie nicht zuletzt das mit Yoko Tawada mutig initiiert und ausgeführt. Sieht man sich die Cover ihrer Alben an, dann hat sie nicht nur äußerst stilvolle und zeitgemäße Motive ausgesucht, sondern sich immer auch selbstbewusst als Rebellin in Szene gesetzt. Nachdem sie mit Rudi Mahall und Alexander von Schlippenbach schwer abgejazzt hat, leitet sie am Steinway-Flügel über in die Habanera aus Georges Bizets Carmen: „L'amour est un oiseau rebelle …“. Die Liebe ist ein rebellischer oder aufsässiger Vogel, der sich nicht zähmen und beherrschen lassen will. Das hätte kein treffenderer Schluss mit feiner Ironie für ihr Konzert abgeben können.

 

Doch die Pianistin Aki Tanase ist nicht nur Rebellin gegen die Männer im Jazz beispielsweise, vielmehr hat sie sich mit Talent und größtem Fleiß in die Männerdomäne eingearbeitet und eigenwillig eingespielt, um mit ihnen zu kommunizieren. Mit Rudi Mahal und Alexander Schlippenbach gelingt es ihr so mühelos, dass das Publikum jubelt. „Freiheit und Form sind für Aki Takase keine Gegensätze, sondern miteinander verwobene Ebenen ihrer Musik, die zudem durch einen ihr eigenen Humor besticht - jenseits jeglicher Effekthascherei“, begründet die Jury ihre Preisverleihung, zu der auch der erste Preisträger des 2017 zum ersten Mal vom rrb-Kulturradio und dem Berliner Kultursenator vergebenen Preis Gebhard Ullmann gehörte. Aki Tanase ist wenigstens die erste Frau, die den Berliner Jazzpreis erhalten hat. Umgekehrt wäre es noch besser gewesen.

 

SWR2 hat Aki Tanase und ihren Mann Alexander von Schlippenbach im April mit einer JazzSession beschenkt und vice versa. Denn zusammen bieten sie humorvoll 150 Jahre Jazz, wie der Titel der weiterhin als Podcast verfügbaren Session heißt. Anders gesagt: sie zelebrieren in der gemeinsamen Session zusammen 150 Jahre gelebtes Leben mit 70, Aki, und 80 Jahren, Alexander. Das Leben als Jazz mit einer gewissen Haltung zur Rebellion bei gleichzeitigem Training am Flügel hält offenbar Hirn und Körper jung, um es einmal so respektlos zu formulieren. Dabei ist eine Session eben nicht nur ein Konzert, bei dem Zuhörer*innen zum Stillsitzen und Schweigen verurteilt sind. Vielmehr lebt eine Session zu einem guten Teil von den Reaktionen aus dem Publikum beispielsweise durch spontanen Applaus während des Spiels, wie es sich auch im Preisträgerinkonzert hören lässt.

 

Die Session ist mehr eine Kommunikationsweise der Musik als ein „bürgerliches“ Konzert. Bestenfalls gibt es spontanen Applaus mitten im Stück oder Zwischenrufe. In der klassischen Musik ist sie dem Terzett oder Quartett etc. näher als dem Solo und Orchesterstück unter Leitung eines Dirigenten. Schrieb Goethe 1829 noch an Zelter, dass sich im Quartett „vier vernünftige Leute“ unterhielten, so unterhalten sich in der Jazz-Session mehrere Musiker*innen durch Schlagfertigkeit und Anspielungen. Eine Session findet zwischen und unter Musiker*innen statt. Sie ist nicht zuletzt eine antibürgerliche Haltung zur Musik, für die nach wie vor gilt, was Roland Barthes einmal bemerkte: 

Sie kümmern sich nicht geschäftig um jedes Detail, im Gegensatz zur bürgerlichen Kunst, die stets indiskret ist. Sie vertrauen der Materie der Musik, die sogleich auch die letzte ist.[6]

 

Vielleicht kommt die Schlagfertigkeit von Aki Tanase am besten in dem onomatopoetischen 葛飾/Hokusaiin der Session mit Yoko Tawada zur Geltung. Bereits 2002 haben Aki Tanase am Klavier, der chinesischen Koto, mit Live Electronics und Yoko Tawada (Text) diagonal als CD mit Titeln wie tango.de, dreizehn, die flucht des monds und tango.jp aufgenommen. Hokusai spielten sie zum ersten Mal bei einem Konzert in Tokio 2017. Vielleicht kommt die Onomatopoesie nicht nur der Dichtung Yoko Tawada besonders entgegen, sondern auch dem Musikverständnis Aki Tanases. Denn es geht mehr um sinnliche als um sinnige Lautmalerei, Tonwortbildung oder Tonmalerei. Hokusai kann im Japanischen immer wieder auch Sinnereignisse aufblitzen lassen, doch generiert sich das Stück aus dem poetischen Umgang mit dem Namen.

 

Sinnereignisse der Performance im Free Jazz oder der Session lassen sich schlecht festhalten oder verifizieren. Sie sind sinnlich wie das Aufblitzen eines plötzlichen Sinns, was Aki Tanases Musiksprache wie Yoko Tawadas Dichtung auszeichnet.[7] Wenn man Aki Tanases Preisträgerinkonzert, das noch bis 5. Juli in der rbb-Mediathek nachzuhören und zu sehen ist, folgt, dann mag sich in den unterschiedlichen Kompositionen und Improvisationen eine Diversität von Sinnereignissen einstellen. Sie mögen von Hörer*in zu Hörer*in unterschiedlich ausfallen, man wird vielleicht auch nicht herausfinden können, woran Aki Tanase beim Spielen gedacht hat, aber sie sind möglich und rufen bisweilen einen Jubel hervor. 

 

Torsten Flüh 

 

rbb24|Kultur 

Aki Takase mit Berliner Jazzpreis ausgezeichnet     

bis 5. Juli 2018

 

Aki Tanase gibt zahlreiche Konzerte in und außerhalb von Berlin

Concerts

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[1] Siehe Aki Tanase: Discography Details http://www.a30a.com/aki/aki_disc.html#AKI1

[2] Georg Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1972, S. 14.

[3] Jazz Etymology and definition, Übersetzung T.F., https://en.wikipedia.org/wiki/Jazz

[4]jizz ist ein vulgärer Begriff für „Sperma“ oder „Wichse“. Siehe LEOs Wörterbuch jizz.

[6] Tom Vitale: The Musical That Ushered In The Jazz Age Gets Its Own Musical. In: nrp music March 19, 20168:16 AM ET.

[6] Roland Barthes: Bürgerliche Gesangskunst. In: Mythen des Alltags. Vollständige Ausgabe. Berlin: Suhrkamp, 2010, S. 222.

[7] Vgl. auch Torsten Flüh: „Ich lasse mich gerne atmen durch eine andere Sprache“ – Yoko Tawada liest neue „Überseezungen“ mit Naomi Sato an der (shō) im Haus für Poesie. In: NIGHT OUT @ BERLIN 18. Februar 2018 23:05.


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