Kunst – Schmalfilm – Frau
Film-Kunst als Earth-Body-Art
Zu Ana Mendietas faszinierenden Filmen im Gropius Bau
Im Rahmen des Gallery Weekends lud der Gropius-Bau mit seiner neuen Direktorin Stephanie Rosenthal als erste von ihr eingeladene Ausstellung zu einem Press-Preview von Covered in Time and History – The Films of Ana Mendieta ein. Die Ära Gereon Sievernich gehört der Vergangenheit an. Sievernich ist Kurator des Hauptstadtkulturfonds geworden. Ana Mendieta und die Film-Ausstellung markieren auch einen Wechsel. Stephanie Rosenthal kündigte Ende März an, die „DNA“ des Gropius-Baus in den nächsten Jahren erforschen zu wollen. Ob die bildende Künstlerin Ana Mendieta etwas mit der Kuratorinnenrede von der „DNA“ hätte anfangen können, wissen wir nicht. Sie starb 1985 bei einem ungeklärten Sturz aus dem 34. Stockwerk eines New Yorker Hochhauses. Mord? Unfall? Suizid?
Der ungeklärte Tod Ana Mendietas ist in den USA nicht nur zu einem Geschlechterpolitikum geworden – bis auf den heutigen Tag machen feministische Aktivistinnen den Bildhauer und Ehemann Carl Andre für den Tod durch Protestaktionen verantwortlich –, vielmehr ist ihr Werk zu einer Frage von Kunst und deren Kanon geworden. Die Filme wurden erst in den letzten Jahren im Nachlass wiederentdeckt, restauriert und digitalisiert. Insofern verdankt sich die Ausstellung nicht nur einer Erklärung Ana Mendietas zu einer „der bedeutendsten Künstler*innen der Nachkriegszeit“, wie es in der Ausstellung heißt, vielmehr können die Filme überhaupt erst durch Digitalisierung und Farbbearbeitung in andauernden Loops gezeigt werden. Denn Ana Mendieta drehte ihre Filme seit Anfang der 70er Jahre mit dem (tonlosen) Schmalfilmformat Super 8, das 1965 von Kodak mit Kassetten von ca. 3 Minuten 20 Sekunden Aufnahmezeit eingeführt wurde.
Raquel Cecilia Mendieta in NSU Art Museum Fort Lauderdale (Screenshot, Ausschnitt T.F.)
Während Carl Andre als Bildhauer des Minimalismus in den 60er Jahren vom Kunstkanon wahrgenommen und anerkannt wurde, entwickelte Ana Mendieta nicht zuletzt mit ihren kurzen Filmen, die in kein Schema passen wollten, an der Schnittstelle von Bildhauerei, Malerei, Poesie, Archäologie, Ethnologie und Performance eine, obwohl in Ausstellungen präsentierte, doch keinesfalls in ihrer Innovativität gewürdigte Kunst. Das mag auch mit dem billigen Material Schmalfilm zu tun gehabt haben. Erstens war das Amateurgenre Schmalfilm von Männern dominiert. Frauen filmten nicht. Freundinnen, Familie, Mutti und die Kinder wurden gefilmt. In den 50er Jahren konnte man noch mit Schmalfilmen junge Frauen schwer beeindrucken und ihnen eine Zukunft als Filmstar versprechen. Zweitens war der Schmalfilm in seiner begrenzten Farbqualität und Länge für professionelle Künstler kaum interessant. Schmalfilme waren immer auch ein Manko an Film.[1]
Raquel Cecilia Mendieta in NSU Art Museum Fort Lauderdale (Screenshot, Ausschnitt T.F.)
Die Projektionen von Ana Mendietas Filmen in Ausstellungen der 70er und 80er Jahre mögen technisch durchaus unbefriedigend gewesen sein. Ein Super 8 Projektor warf knatternd, etwas unscharfe und leicht ruckelnde, aber immerhin farbige Lichtbilder an die Wand in der Ecke einer Galerie. Bevor man nun also beginnt, die Kunstgeschichte durchaus berechtigt umzuschreiben, hätte der Ausstellung einführend eine medienhistorische wie -praxeologische Reflektion gutgetan. Doch dieser Aspekt verschwindet leider so lange, bis sich die Besucher*innen, falls sie sich an den Schmalfilm erinnern können, fragen, wie die Filme gemacht wurden. Wir leben im Zeitalter der Digitalität, in der es mit dem Smartphone so gut wie keine technischen Beschränkungen – Bild, Ton, Farbe. Länge als Speicherkapazität, Licht, Blenden, Selbstauslöser, Sprachsteuerung, Effekte – alles super und vorprogrammiert – mehr gibt, die bei Ana Mendieta überhaupt eine spezifische Kunst der kurzen Filme und Erzählungen hervorbringt.[2]
© The Estate of Ana Mendieta Collection, LLC., Courtesy Galerie Lelong & Co., Foto: Mathias Völzke
Ende Februar 2016 hat Raquel Cecilia Mendieta in NSU Art Museum Fort Lauderdale bezeichnender Weise eine „Annual Stanley and Pearl Goodman Lecture on Latin American Art“ über die Filme von Ana Mendieta gehalten. Denn Raquel Cecilia Mendieta hatte in einer Zeit von 15 Jahren die Filme allererst in High Definition transformiert.[3] Gleichwohl schenkt Raquel Cecilia Mendieta der Frage der Farbe und Schärfe mehr Aufmerksamkeit als, was die Kürze der analogen Filmrollen als Produktionsrahmen mit der Performance-Kunst von Ana machte. Sie filmte sich und ihre Erdskulpturen wie Installationen offenbar meist selbst mit einer einzigen Einstellung. Wer die Schmalfilmkamera für Burial Pyramid, August 1974, mit einer Länge von 3 Min. 17 Sek. einschaltete – Selbstauslöser per Kabel? –, ist nicht überliefert. Doch die Film-Performance, in der Ana Mendieta unter Steinen in Yagul, Mexiko, liegt und zu, sagen wir, atmen beginnt, so dass die Steine von ihrem nackten Körper rutschen, dauert exakt die Länge einer Filmkassette.
© The Estate of Ana Mendieta Collection, LLC., Courtesy Galerie Lelong & Co.
Die Filme von Ana Mendieta dauern i. d. R. nicht länger als 3 Minuten und 20 Sekunden. Das ist die Länge einer Filmkassette. Sie verharren in einer Einstellung, meist eine Totale, und sind nicht geschnitten. Der Wechsel von Einstellungen und der Schnitt, die überwiegend einen narrativen Film generieren, was zweifellos Wunsch und Ziel jedes Amateurfilmers war, werden von Ana Mendieta von vorneherein unterlaufen. Vielmehr experimentiert sie beispielsweise in Energy Charge, 1975, 49 Sekunden, einem 16mm-Film gerade nicht mit einer längeren Erzählung, sondern mit der manuellen Bearbeitung des doppelt großen Negativmaterials. Die Filme werden von ihr gezielt für Bewegungen und Veränderungen im Bildausschnitt eingesetzt. Rauch, Feuer, Wasser, Steine, rote Farbe oder Blut, aber niemals ihr eigenes, wie Raquel Cecilia Mendieta in ihrer Lecture auf Nachfrage betont, machen Bewegungen und Vorgänge sichtbar. Studierte an der Universität von Iowa Bildende Kunst und hatte dort die Möglichkeit, Kameras und Zubehör auszuleihen.
© The Estate of Ana Mendieta Collection, LLC., Courtesy Galerie Lelong & Co., Foto: Mathias Völzke
Die Ausstellung mit den Filmen, die die erste überhaupt zu dieser Werkgruppe der Künstlerin ist, wurde von November 2016 bis Februar 2017 im BAMPFA, dem UC Berkeley Arts Museum and Pacific Film Archive, gezeigt. Was bis in die 80er Jahre im Kunstkanon marginalisiert wurde, trat nun als Zeitdokument und verspätet entwickelte Fakten hervor. Ana Mendieta wird nun mit den Filmen als Avantgardistin der Kunst gefeiert. Denn genau das, was jenseits des disziplinären Kanons praktiziert wurde, gibt einen Wink auf aktuelle Diskussionen in Kunst und Politik. So schreibt Howard Oransky für das Booklet:
Ihre Arbeit überschreitet Grenzen, einschließlich künstlerischer und zeitbasierter Disziplinen; geografische und politische Grenzen und die Erforschung von Geschichte, Geschlecht und Kultur. Mendietas Biografie umfasst die existenziellen Spannungen der modernen Zeit: Ihre Arbeiten sind durchdrungen von existenziellen Bedrängnissen, die nach wie vor gegenwärtig sind: die Erfahrung persönlicher, kultureller und politischer Vertreibung; der Verlust von Verbindung und Kontinuität mit der individuellen und kollektiven Vergangenheit; der Druck, als Migrantin eine neue Sprache zu erlernen und mit einem anderen System gesellschaftlicher Normen konfrontiert zu sein. Im Kontext gegenwärtiger Migrationsströme bekommt die unablässige Suche nach Verwurzelung und dem Gefühl von Zugehörigkeit, die in ihrer Kunst angesprochen wird, eine ganz neue Relevanz.
In dem Maße wie in der Ausstellung der kreativ-praxeologische Aspekt von Howard Oransky und Lynn Lukkas ausgeblendet wird, werden die Räume in Themen nach Formulierungen von Ana Mendieta eingerichtet. Raum 5 wird folgendes Zitat als Motto vorangestellt: „Man könnte sagen, dass es in meiner Arbeit thematische Grundströmungen gibt, bestimmte Dinge, die immer wieder vorkommen; schon immer ging es mir darum, eins mit dem Baum, einer Art Lebensbaum, zu werden.“[4] Ob der Baum in Energy Charge von Mendieta als eine „Art Lebensbaum“ konzipiert wurde, bleibt in dem 49 Sekunden langen Film unklar. Dennoch wird er für Howard Oransky „eindeutig erkennbar“.
Das ikonographische Element des Lebensbaums taucht in Energy Charge aus dem Jahr 1975 zum ersten Mal eindeutig erkennbar in Mendietas Schaffen auf. Er ist ein wunderbar grafischer Film von geheimnisvoller, ritueller und düsterer Sensibilität. Mendietas grenzüberschreitende künstlerische Praxis zeigt sich hier in einer Kombination aus moderner Filmtechnik, um die antike Idee vom Baum des Lebens auszudrücken.[5]
Als Sichtweise verpasst der „Lebensbaum“ in einer signifikanten Ausdruckslogik auch den feministischen oder gar queeren Film Energy Charge ohne Ton und Erzählung. Denn Queerness kommt im bildnerischen Werk u.a. mit fotografischen Selbstportraits wie Untitled (Facial Hair Transplants), 1972 vor, wie sich bei Wikipedia sehen lässt. Die überaus faszinierenden Filme von Ana Mendieta werden von Howard Oransky in der Ausstellung und dem Heft in eine schwierige Logik von Ausdruck und Sichtbarkeit gepresst, als sei es nicht gerade für Ana Mendieta eine fortwährende Suche nach Sichtbarkeit und Sichtbarwerden. Das Bild des Körpers, des weiblichen Körpers und seiner Vulva wird auf fast schon amüsante Weise in eine „Metapher“ transformiert. Der Vulkan lässt sich nicht nur als möglicherweise kraftvolle Vulva erkennen, sie drängt sich als Bild geradezu auf. Vielleicht kann man das in Minnesota, Iowa oder Berkeley nicht in einem Katalog schreiben, aber im Berliner Gropius-Bau eine merkwürdig rauchende Metapher zu formulieren, wird eher peinlich. Von den Volcános werden zudem keine Pressebilder zur Verfügung gestellt.
In drei Filmen des Jahres 1979 arbeitet Mendieta mit ihren Siluettas (Silhouetten) und bezieht dabei das Element Feuer mit ein. Sowohl in einer filmischen Arbeit als auch in einer Fotoserie, die beide den Titel Volcáno tragen (…), fungiert ein Vulkan als Metapher für die Erde als Ort des Trostes und der Zerrissenheit.[6]
In den Vulkan-Filmen bleibt es durchaus mehrdeutig, ob es sich um natürliche Vulkane handelt oder ob es mit Feuer und Rauch präparierte Aushöhlungen sind. Vielleicht ist diese Wahrnehmung einer gewissen Unkenntnis der Landschaft in Iowa geschuldet. Doch obwohl es in Iowa Vulkankrater gibt, lassen sich Mendietas Vulkane nicht genau verorten. Nach den Filmen könnte es sich ebenso gut um Installationen handeln, die sich auch hinsichtlich vulkanischer Kräfte in der Erde und ihrem Sichtbarwerden verdanken. Mendieta selbst formuliert ihre Kunst weniger in einer Ausdruckslogik als in einem Paradox von Selbst und Welt.
Sich selbst zu kennen, heißt, die Welt zu kennen, und paradoxerweise ist es auch eine Art Exil von der Welt. Ich weiß, dass es diese Gegenwart meiner selbst ist, diese Selbsterkenntnis, die mich dazu bringt, in den Dialog mit der Welt um mich herum zu treten, indem ich Kunst schaffe.[7]
Raquel Cecilia Mendieta in NSU Art Museum Fort Lauderdale (Screenshot, Ausschnitt T.F.)
Die Earth-Body-Art Ana Mendietas generiert an medialen Schnittstellen immer auch neuartige Bilder und Fragen. Raquel Cecilia Mendietas Antwort auf die Frage nach dem Blut gibt einen Wink dahin, dass es in Blood Writing, Februar 1974, Iowa, 3 Min. 17 Sek. gerade auch rote Farbe oder Tierblut gewesen sein kann, mit dem sie „SHE GOT LOVE“ an ein weißes Holztor schreibt. Das Blood Writing wird dann weniger metaphorisch als vielmehr metonymisch und ambig. Die Vertauschungen und Mehrdeutigkeiten werden nicht zuletzt durch das Medium Schmalfilm in der Kunst von Ana Mendieta möglich und praktikabel. In dieser Hinsicht inszeniert vielleicht Moffitt Building Piece, Mai 1973, Iowa City, 3 Min. 17 Sek. die Täuschung durch einen roten Fleck auf einem Bürgersteig, den einige Passanten sehen, um für einen Moment irritiert zu sein, andere allerdings ohne Reaktion vorbeigehen. Wer sieht Farbe? Wer sieht Blut? Wer sieht ein Gun Shooting? Ein roter Fleck.
Torsten Flüh
Gropius Bau
The Films of Ana Mendieta
bis 22. Juli 2018
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[1] Siehe zur Frage des Schmalfilms als Amateurmedium und erfolgreichen Digitalisierung der letzten Jahre u.a.: Torsten Flüh: Die „Maßnahmen“ im Schmalfilm gebannt. Egon Bahr eröffnet die Premiere des Schmalfilm-Opus’ Bis an die Grenze in der Urania. In: NIGHT OUT @ BERLIN 13. August 2011 18:47.
[2] Vgl. dazu die brillante Qualität des Films Chauka, Please Tell Us The Time u. a. in Torsten Flüh: Raum und Zeit der Flucht. Das Konzert Zeitgeist und der Film Chauka, Please Tell Us the Time auf dem Festival MaerzMusik 2018. In: NIGHT OUT @ BERLIN 25. März 2018 19:50.
[3] Siehe die Lecture auf YouTube bei ca. 35:30 Raquel Cecilia Mendieta: The Films of Ana Mendieta. February 27, 2016.
[4] Raum 5 Ana Medieta in: Howard Oransky (Booklet): Covered in Time and History: Die Filme von Ana Mendieta. Berlin: Berliner Festspiele, 2018. (Ohne Seitenzahl).
[5] Ebenda.
[6] Ebenda Raum 1 (Ohne Seitenzahl).
[7] Ebenda Raum 3 (Ohne Seitenzahl).